T O T E N I N S E L
Zur Ausstellung vom 6. Mai bis 19. Juni 2005 im Kunstfaktor.


Die dritte Version der »Toteninsel« aus dem Jahr 1883.
Es hängt heute in der Alten Nationalgalerie Berlin.


Text aus P.M. HISTORY · 11/2004 · www.pm-online.de


Böcklin und seine »Toteninsel«

Alles begann mit dem Auftrag einer jungen Witwe an den Maler Arnold Böcklin. Doch aus dieser zunächst bescheidenen privaten Auftragsarbeit wurde eines der berühmtesten und geheimnisvollsten Werke der Kunstgeschichte.

Es war im Frühjahr des Jahres 1880, als die junge Witwe Marie Berna, die spätere Gräfin von Oriola, bei dem Schweizer Maler Arnold Böcklin »ein Bild zum Träumen« bestellte. Böcklin, der zu dieser Zeit in Florenz lebte, hatte seine ganz spezielle Art, Träume zu malen. Er entwickelte das Motiv einer einsamen Felseninsel, die ihn so in den Bann zog, dass er das Gemälde im Zeitraum von 1880 bis 1886 in fünf Versionen ausführte. Der Auftraggeberin schrieb der Künstler zu Beginn seiner Studien: »Das Bild muss so still werden, dass man erschrickt, wenn an die Türe gepocht wird.«

Der jungen Witwe verkaufte Böcklin aber nicht die erste Fassung ihres »Traumbildes«. Sie erhielt die zweite Fassung, die der Künstler ebenfalls 1880 vollendete. Ihr Bild ist heute im Besitz des Metropolitan Museum in New York. Die erste Fassung, das Urmotiv, die der Maler für sich behielt, gehört heute dem Kunstmuseum Basel. Auf das Drängen seines Galeristen Fritz Gurlitt schuf Böcklin 1883 eine dritte Version, von der der Künstler Max Klinger eine Radierung anfertigte. Der Galerist wollte damit das Motiv in größerer Stückzahl auf den Kunstmarkt bringen. Das Bild erhielt jetzt den bekannten Titel »Die Toteninsel«, denn Böcklin hatte es bis dahin »Ein stiller Ort« oder »Gräberinsel« benannt.

Diese dritte Fassung gelangte 1933 in den Kunsthandel und dann in den Besitz des Reichskanzlers Adolf Hitler. Er ließ das Gemälde zunächst in den Berghof auf dem Obersalzberg bringen, wo weitere berühmte Meisterwerke hingen. Ab 1940 holte Hitler Böcklins »Toteninsel« dann in die Berliner Reichskanzlei. Heute ist das Bild im Besitz der Nationalgalerie Berlin.

Noch zwei weitere Versionen der »Toteninsel« schuf Böcklin, der die meiste Zeit in finanziellen Nöten steckte. Ein 1884 entstandenes Bild kam später in den Besitz des Industriellen Heinrich Baron Thyssen. Das Gemälde ist leider in Thyssens Berliner Bankfiliale im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Von ihm existiert aber noch ein Schwarzweißfoto.

Die letzte und fünfte Fassung der »Toteninsel« malte Böcklin 1886 im Auftrag des Leipziger Museums, wo dieses Werk noch heute zu sehen ist. Die fünf Versionen unterscheiden sich im Format, durch ihre Farbgebung und variierende Bilddetails. Doch alle Varianten haben etwas Mystisch-Melancholisches, obwohl man auf den ersten Blick zunächst ein Landschaftsbild zu erkennen glaubt. Sein Aufbau ist recht symmetrisch: Es hat einen tief gelegten Horizont und betont die Senkrechte – so entsteht der Eindruck von Weite und Stille.

»Ich male nur Bilder und keine Bilderrätsel!«

Aus einem spiegelglatten Meer ragt eine verlassene, mediterrane Felseninsel wie ein überdimensionaler Altar hervor. Dieser gleicht einer mystischen Trutzburg mit einem »gotischen« Zypressenhain, der den Himmel zu berühren scheint. Zeichen der Zivilisation sind eine Hafenanlage, in den Fels gehauene Grabkammern und einiges Mauerwerk. Die Insel scheint verlassen zu sein, doch vor der Hafeneinfahrt entdeckt man einen Kahn, den ein Fährmann rudert. An Bord steht eine weiß vermummte Gestalt, vor ihr ein mit Tüchern verhangener und mit Blumen geschmückter Sarg. Der stumme Bote bringt einen Verstorbenen zur Grablegung.

Den Betrachter der Szene überfällt Melancholie und Weltschmerz. Die Schön-heit der stummen Natur – selbst das Meer scheint den Atem anzuhalten – erinnert an die menschliche Vergänglichkeit. Diese Szene kann eine Huldigung an Böcklins Auftraggeberin sein, denn sie wurde in jungen Jahren Witwe. Das Bild zeigt aber vermutlich auch die letzte Reise von Arnold Böcklin selbst, denn das Thema Tod spielte eine wichtige Rolle in seinem Leben und Schaffen. 1872 hatte er die sterbende Königin Kleopatra gemalt, im gleichen Jahr sein Selbstporträt mit dem »fiedelnden Tod«. Dieses Porträt (siehe rechts) schuf Böcklin in der Tradition des berühmten »Baseler Totentanzes«, einem Monumentalgemälde, das um 1500 die Friedhofswand seiner Heimatstadt zierte. Es erinnerte an die Pest, die Basel 1348/49 heimsuchte und mehreren tausend Menschen den Tod brachte.

Auch Böcklins Leben war von Schicksalsschlägen schwer gezeichnet, er erkrankte an Typhus und erlitt einen Schlaganfall. Mit seiner Frau trug er acht seiner 14 Kinder zu Grabe. Ab der dritten Fassung der Toteninsel-Gemälde entdeckt man Böcklins Signatur über dem Eingang zu einer Grabkammer. Sein Name wird so zum Bildmotiv, und damit ermalt er sich sein eigenes Denkmal. Dass ein Künstler sein eigenes Grab darstellt, hat Tradition. Beispiele: Caspar David Friedrich, Karl Blechen oder Gus-tave Courbet. Nach der Weltanschauung Arnold Böcklins, Friedrich Nietzsches und vieler weiterer Intellektueller wird damals eine ganze Epoche zu Grabe getragen: die europäische Kultur, basierend auf den Werten der Antike. Man befürch-tet den Untergang von Kultur und Humanismus – verursacht durch die zunehmende Industrialisierung.

Arnold Böcklin antwortete kurz und knapp auf die Frage nach der Bedeutung seiner Toteninsel-Bilder: »Das, was Sie sehen. Ich male nur Bilder und keine Bilderrätsel!«

Zwei Jahre nach seiner letzten Toteninsel-Fassung wagt sich Böcklin 1888 an einen Gegenentwurf. Es ist das weniger bekannte Gemälde »Die Lebensinsel«. Sie erinnert vom Bildaufbau her an die anderen Insel-Versionen, zeigt aber blühendes Leben und üppige Vegetation, glückliche Menschen und Götter. Hatte der Maler plötzlich seine Lebensfreude entdeckt? Wohl kaum – aber vielleicht hat er seine Träume nur weitergesponnen. Nach der Beerdigung auf der Toteninsel erlebt er seine Wiedergeburt.


Arnold Böcklin

wird am 16. Oktober 1827 in Basel in der Schweiz geboren. Der Vater ist Kaufmann; Arnold wächst in bescheidenen Verhältnissen auf, besucht aber das Gymnasium. Er erhält Zeichen-unterricht und geht 1845 an die Düsseldorfer Akademie, wo er Rudolf Keller kennen lernt. Mit ihm reist er nach Brüssel, Antwerpen und 1848 nach Paris. Hier erlebt er die Februar-revolution und den Juniaufstand. Auf Rat des Historikers Jacob Burckhardt besucht er 1850 Rom, wo er mit dem Dichter Paul Heyse zusammentrifft. Böcklin heiratet 1853 Angela Pascucci. Seine angespannte Finanzlage zwingt ihn 1857, nach Basel zurückzukehren. Ein Jahr später zieht er nach München. Der erste große Erfolg kommt mit dem Werk »Pan im Schilf«, das vom bayerischen Königshaus angekauft wird. Er knüpft Beziehungen zum Mäzen und Kunstsammler Adolf Friedrich von Schack; zwischen 1863 und 1874 erwirbt dieser 16 seiner Gemälde.

Böcklin wird 1860 Professor an der Weimarer Kunstschule und freundet sich mit Franz von Lenbach an. 1862 reist er nach Rom und Pompeji, wo er die antike Malerei studiert. 1866 kehrt er nach Basel zurück. Es kommt zum Bruch mit Jacob Burckhardt. Böcklins Farben erhalten mehr Leuchtkraft, die Darstellung von Menschen gewinnt an Bedeutung. Von 1871 bis 1874 arbeitet er in München, von 1874 bis 1883 in Florenz und Umgebung. Aus finanziellen Schwierigkeiten hilft ihm der Berliner Kunsthändler Fritz Gurlitt, der Böcklins Werke regelmäßig ausstellt. 1882 betreibt der Künstler Flugversuche, gibt die Studien aber wieder auf. Er kehrt in die Schweiz zurück und freundet sich mit dem Dichter Gottfried Keller an. 1889 kommt es zum Bruch mit Gurlitt. Drei Jahre später erleidet Böcklin einen Schlaganfall; er zieht nach Florenz und 1895 nach San Domenico bei Fiesole. Trotz Altersschwäche entstehen hier Werke wie »Der Krieg« und »Die Pest«. Am 16. Januar 1901 stirbt Arnold Böcklin. Er wird auf dem protestantischen Friedhof von Florenz beigesetzt.